Eine der ältesten Energiequellen der Menschheit ist die Wasserkraft. Seit mehr als 2000 Jahren wird die Kraft von fließendem und aufgestautem Wasser zum Antrieb von Korn- und Sägemühlen oder Schmieden genutzt. Heutzutage produzieren Wasserkraftwerke weltweit rund ein Fünftel des gesamten Strombedarfs. Eine weitere Art die Kraft des Wassers zur Energiegewinnung zu nutzen, beruht auf den großen Potenzialen von Meeresströmungen und Wellen. Die Nutzung der Gezeitenkraftwerke soll in Zukunft forciert werden, um die Stromgewinnung aus dem Meer zu ermöglichen.
Grundsätzlich ist für den Bau eines Gezeitenkraftwerks ein großer Tidenhub, also große Unterschiede im Wasserstand bei Ebbe und bei Flut oder bei der Ausnutzung von Meeresströmungen eine entsprechende Strömungsgeschwindigkeit eine notwendige Voraussetzung. Als Standort eignet sich entweder eine Meeresbucht oder die Mündung, die in einen Fluss führt, an dem sich ein Unterschied von mindestens 5 Metern zwischen Ebbe und Flut ergibt. Häufig werden Gezeitenkraftwerke zusammen mit einem Staudamm an großen Meeresbuchten errichtet, die zusätzlich mit einem ausreichenden großen Speicherbecken ausgestattet werden. Diese müssen natürlich vom offenen Meer, Fluss oder See entsprechend abgetrennt werden können. In dem Staudamm befinden sich dann Öffnungen, in denen sich Turbinen zur Stromgewinnung befinden. Durch diese Turbinen, bei denen es sich nicht um normale Turbinen, sondern um Zweiwegturbinen handelt, wird das Wasser geleitet. Solche Zweiwegturbinen können vom Wasser sowohl bei Ebbe als auch bei Flut durchströmt werden. Bei Ebbe fließt das Wasser aufwärts und bei Flut abwärts. Normale Turbinen könnten dies nicht leisten, da sie nur in eine Richtung funktioniert. Der Durchmesser einer einzigen Zweiwegturbine liegt mit zirka 10 Meter ziemlich hoch.
Die Gezeitenkraftwerke funktionieren also nach dem sogenannten Staudamm-Prinzip. Die in der Staumauer befindlichen Zweiwegturbinen, die bei Flut vom einströmenden, bei Ebbe vom ausströmenden Wasser betrieben werden, wandeln potentielle Energie des Wassers aus der Strömung in mechanische Energie um und treiben mit der gewonnenen Rotationsenergie einen Generator an, der dann Strom erzeugt. Der Wasserdruck ist beim Eintritt in die Turbine natürlich am höchsten und nimmt bis zum Austreten ständig ab. Auf dem Höchststand der Flut wird das Staubecken geschlossen. Ist das Becken vollgelaufen, muss gewartet werden bis die Ebbe kommt, um das Staubecken dann wieder zu entleeren und die Turbinen anzuwerfen.
Der erste Gedanke im Zusammenhang mit der Nutzung der Gezeitenkraftwerke geht meist in Richtung des weltweit größten Projektes in diesem Bereich, welches an der Mündung des französischen Flusses Rance bei Saint-Malo in der Bretagne liegt. Dieses Strömungskraftwerk ist quasi ein Vorzeigeprojekt, wenn es um die Nutzung der Gezeitenkraftwerke geht. In diesem aus dem Jahre 1966 stammenden Kraftwerk wird der Tidenhub, also der Anstieg des Wassers bei Flut, von 12 bis 18 Metern genutzt, um hinter einem Staudamm Wasser aufzustauen. 24 Röhrenturbinen á 10 MWel werden durch die Kraft des Wassers angetrieben. Das Wasser wird bei Niedrigwasser durch eben diese Turbinen wieder abgelassen. Allerdings ist dieses Kraftwerk für die Nutzung der Gezeitenkraftwerke nicht unbedingt ein Paradebeispiel, denn es hat sich gezeigt, dass die noch nicht wirklich ausgereifte Technologie auf das Ökosystem des Flusses gravierende negative Auswirkungen hatte. Zudem gibt es weltweit nur sehr wenige Standorte, die für diese Art von System zur Nutzung der Gezeitenkraftwerke überhaupt geeignet wären.
Die Nutzung der Gezeitnkraftwerke wird beispielsweise in einem britisch-deutschen Projekt mit neuen Ansätzen versucht, umzusetzen. Dieses Projekt zur Nutzung der Gezeitenkraftwerke wurde vor einigen Jahren im Bristol Channel vor der Küste Cornwalls installiert und befindet sich seit 2002 in Betrieb. Die Anlage zur Nutzung der Gezeitenkraftwerke ähnelt einer Unterwasser-Windkraftanlage und soll nicht den Tidenhub, sondern die durch die die Gezeiten verursachten Meeresströmungen nutzen. Das eher gemächliche Tempo von Ebbe und Flut kann in der Nutzung der Gezeitenkrafwerke ausreichen, um Strom zu gewinnen, da die Wasserdichte deutlich höher ist als die Luftdichte. Für eine kommerzielle Nutzung der Gezeitenkraftwerke allerdings müssen moderate Strömungsgeschwindigkeiten von mindestens 2 bis 2,5 Meter pro Sekunde vorhanden sein. Natürlich können dann auch andere, natürliche Meeresströmungen mit der geeigneten Geschwindigkeit für die Nutzung der Gezeitenkraftwerke herangezogen und zur Stromerzeugung genutzt werden. Bei der Pilotanlage für die Nutzung der Gezeitenkraftwerke wurde ein sogenannter Monopile, das ist ein Turm, im Meeresboden verankert, wozu eine Bohrung von mehreren Metern Durchmessern durchgeführt werden musste. Damit wurde für die weitere Nutzung der Gezeitenkraftwerke eine Struktur geschaffen, die in der Lage ist, einen Rotor in Betrieb zu halten. Für die allgemein geplante Nutzung der Gezeitenkraftwerke nach diesem Prinzips können je nachdem wie tief der Meeresgrund und die Strömung sind, entweder ein Rotor mit einem größeren Durchmesser oder zwei an einem Querbalken befindlichen, kleinere Rotoren von rund 10 m Durchmesser installiert werden. Damit sich die Rotorblätter, während der Nutzung der Gezeitenkraftwerke, immer unter der Wasseroberfläche befinden, muss sich die Rotornabe immer rund zehn Meter unterhalb des Gezeitentiefstandes befinden. Der Testlauf des Pilotprojektes zur Nutzung der Gezeitenkraftwerke hat zeigt, dass dieses Prinzip als kommerzielle Lösung durchaus rentabel sein kann, da ähnlich wie bei einer Windkraftanlage, die Komponenten für die Nutzung der Gezeitenkraftwerke vormontiert vorliegen und in nur wenigen Tagen installiert werden können. Die Nutzung der Gezeitenkraftwerke nach dem Vorbild der Pilotanlage kann für eine Nennleistung von 350 kWel ausgelegt werden, womit rund 4000 Volllaststunden erreicht werden können. Diese Nutzung der Gezeitenkraftwerke entspricht in etwa den Nutzungsdaten von Offshore-Windkraftanlagen.
Im Gegensatz zu den sehr großräumig verteilten Windkraftanlagen kann die geschickte räumliche Verteilung und Nutzung der Gezeitenkraftwerke eine gleichmäßigere Stromproduktion realisieren. Während bei den über Land liegenden Anlagen die Witterungsverhältnisse häufig eine große Rolle für die Stromproduktion spielen und die Anlagen zudem auf extreme Energiespitzen ausgelegt werden müssen, garantiert die Nutzung der Gezeitenkraftwerke eine kontinuierliche Stromproduktion. Lediglich bei Höchst- und Niedrigwasserstand ist keine ausreichende Strömungsgeschwindigkeit vorhanden, die sich ebenso wie Stürme auf die Unterwasseranlagenproduktion nur unwesentlich auswirken. Zudem sehen viele Menschen einen besonderen Vorteil darin, dass die Gezeitenkraftwerke die Schönheit der Natur nicht wie eine Windkraftanlage stört, sondern eher unsichtbar unter dem Meeresspiegel liegen. Trotzdem müssen die Gezeitenkraftwerke als nachhaltige Energielieferanten natürlich umweltschonend integriert werden.
Grundsätzlich könnte man annehmen, dass die Nutzung der Gezeitenkraftwerke vor jeder Küste möglich wäre, dem ist jedoch nicht so. Denn die Stromproduktion eines Gezeitenkraftwerkes muss sich schließlich auch rechnen. Die größten Potenziale sehen die Spezialisten für Strömungs- und Gezeitenkraftwerke außerhalb Europas. Trotzdem sind bislang auch in Europa über 100 Standorte auserkoren worden, die sich für eine Energiegewinnung aus Meeresströmungen eignen würden. Vor allem befinden sich diese möglichen Standorte entlang der französischen, britischen, spanischen und portugiesischen Küste. Die Experten rechnen in Europa mit einem Potenzial von 12.000 MW durch die Nutzung von Gezeitenkraftwerken. Ähnlich wie die Suche nach geeigneten Standorten für Windkraftanlagen gestaltet sich auch die Suche nach den geeigneten Standorten für Gezeitenkraftwerke relativ schwierig. Mit Simulationsprogrammen, welche die Strömungen in Abhängigkeit mit den Meeresbodenprofile simulieren, soll die Suche nach geeigneten Standorten schneller und aussagekräftiger werden. Für die Effizienz eines Gezeitenkraftwerkes ist der Standort also besonders wichtig und muss gut gewählt sein, um kostengünstig und ausreichend Energie produzieren zu können.
In der Nord- und Ostsee liegen relativ geringe Strömungsgeschwindigkeiten vor. Daher ist die Nutzung der Meeresströmung zur Stromerzeugung für den deutschen Energiemarkt wirtschaftlich gesehen eher uninteressant. Aufgrund der internationalen Führungsrolle deutscher Unternehmen in der Windenergietechnik erscheint aber zumindest eine Partizipation am möglichen Ausbau der Gezeitenkraftwerkstechnologie möglich. Dazu muss allerdings das Know-How aus der Windkrafttechnologie den Dichte- und Kraftverhältnissen des Wasser angepasst werden. Forschungsprojekte in Deutschland sind in diesem Zusammenhang daher durchaus als sinnvoll anzusehen.
Da es kaum gute Standorte zu finden sind, sind Gezeitenkraftwerke nicht wirklich ökonomisch wertvoll. Einen effektiven Tidenhub von mindestens 5 Metern findet man auf der Welt halt eher selten. Und selbst da, wo ein Gezeitenkraftwerk gebaut werden kann, ist eine gleichmäßige Energiegewinnung durch die unterschiedlichen Natureinflüsse auf Ebbe und Flut nicht gegeben. Manche Kritiker behaupten zudem, dass Gezeitenkraftwerke den natürlichen Tidentakt der Meere und Flüsse negativ beeinflussen können. Daher ist es meist nicht einfach Investoren für Gezeitenkraftwerk-Projekte zu finden. Jedoch kann jeder Interessierte davon ausgehen, dass die Energiegewinnung völlig ohne Schadstoffe abgeht, und das Ökostrom immer etwas teuerer ist, ist ja bekannt. Doch auch, wenn Gezeitenkraftwerke keine Ressourcen ausbeuten und keine Schadstoffe abgeben, halten sie leider nicht, was man sich davon erhofft hat. Denn die Kohlendioxidemission auf dieser Erde kann durch die Nutzung der Gezeitenkraftwerke nicht so stark gesenkt werden, wie erwartet. Aus ökologischer Sicht ergeben sich durch den Staudamm in Sachen Bewässerung, Schifffahrt, Hochwasserschutz und Trinkwasserversorgung durchaus einige Vorteile.